Umtausch 1 : 1
"Sind die Bücher hier im Korb alle aus Tante Ellis Nachlaß?" "Ja, ich weiß noch nicht, welche ich davon behalte - aber, guck mal, was ich in dem Gedichtband gefunden habe!"
"Tausend Mark! Schade, daß es bloß ein Reichsmarkschein ist. Den wird dir wohl keiner mehr eintauschen, erst recht nicht 1 : 1 !"
"Du warst ja damals schon 16, als die Währungsreform kam. Ich weiß nur noch, daß ich es schade fand, als es irgendwann keine mehr von den Papierscheinchen gab,so klein wie aus der Puppenstube, aber ich konnte dafür ein Eisbällchen im Hörnchen zum ´nem Groschen an Konnys Eiswagen kaufen. War die Geld-Umstellung eigentlich tatsächlich im Sommer - oder haben sich bei mir die Bilder total vermischt?"
"Nein, es stimmt schon. Samstags mittags machten die Geschäfte zu - ein, zwei Stunden später hingen überall in den Straßen Plakate. Am Sonntag, das war der 21. Juni 48, konnte sich also jeder bei den Verteilstellen für 40 Reichsmark pro Person 40 D-Mark abholen.
Ich hab das viele, richtige Geld auf den Tisch gelegt mit einem ganz komischen Gefühl im Bauch. Der dicke Schmähling zählte mir die neuen Scheine hin, und ich dachte: Was ist das denn für Kirmesgeld? So hell, so bunt!" "Und für so was warst du mal wieder zuständig!" "Klar,Mutter hat wie immer mich losgeschickt, in aller Herrgottsfrühe. Schlange stehen beim Wirtschaftsamt, das war ich ja gewohnt, wenn auf Bezugschein Kleidung oder Schuhe zugeteilt wurden." "Hatten wir denn überhaupt soviel Reichsmark zum Umtauschen? Immerhin waren das für sechs Personen 240,--." "Ganz genau weiß ich das auch nicht mehr. Aber ich denke schon - denn zu kaufen gab es ja bis dahin sowieso nicht viel - in den Schaufenstern standen lauter Attrappen, oder die Scheiben waren ganz zugeklebt.
Und das in jedem Geschäft -auch in dem Kaufladen, wo ich Lehrling war." "Und wie gings nach dem Sonntag weiter?" "Stell dir vor, an dem Montag, also direkt am Tag darauf, standen die Läden brechendvoll von Mehl, Zucker, Brot, -also einfach alles, sag ich Dir! Davon haben sogar wir Verkäuferinnen vorher absolut nichts gewußt." "Ziemlich clever, muß ich schon sagen! Und Mutter? Wie ist sie mit dem mageren Start zurechtgekommen?" " Genauso schlecht und recht wie vorher - die Preise für Lebensmittel waren ja in etwa geblieben, trotzdem mußte sie die neue Mark noch öfter umdrehen, wie man so sagt".
"Wieviel verdiente Vater in der Zeit eigentlich?" "Als gelernter Schweißer brachte er nach der Währungsreform in der Woche 52,-- nach Hause, dazu meine 25,-- Mark -aber monatlich- na ja.. wenn was dazwischenkam, womit wir nicht gerechnet hatten, sahs natürlich böse aus. Ich hab heute noch eine Stinkwut auf meine Chefin!" "War das die Frau Schlüter?" "Genau die. Ich hatte sie gefressen wie zehn Pfund schwarze Seife! Also, wir räumten gerade die unnütz gewordenen Lebensmittelkartenblätter weg, da sagt die so nebenbei: "Helga, denk dran, ich krieg von euch noch 50,-- für das, was du aus dem Laden mit nach Hause genommen hast!" Aber- ich hatte die Lebensmittel schließlich vor der 1-zu 10-Abwertung gekauft! Mir blieb die Luft weg. Sie hat mich vor den anderen so blamiert, daß uns nichts anderes übrigblieb, als unsere Schulden in neuem Geld zu bezahlen!" "Ja, ist es denn möglich? Warum ist Mutter denn nicht zu ihr gegangen und hat ihr ordentlich den Marsch geblasen?" "Das fragst du noch? Mutter hat sich abgerackert und auf alles verzichtet, damit wir satt wurden - aber gegen so eine Xanthippe wär sie nie angekommen! Ich hatte damals schon den Verdacht, daß die Schlüter meinen Kredit längst in Reichsmark in die Kasse gelegt hatte und die 50,-- DM in ihre eigene Tasche gewandert sind."
"Schade, daß ich so gar nichts mehr davon weiß, Helga. Das muß eine ziemliche Aufregung gewesen sein an dem Samstag." "Das kannst du laut sagen, und für mich ganz besonders! Ich habe gebettelt und gefragt: Mutter gib mir doch 1,50 von deinem Rest! Morgen sind sie eh nichts mehr wert. Aber heute abend kann ich damit noch eine Kinokarte kaufen! Mutter wußte das wohl, aber sie hat doch geseufzt. Ich bin die 3 km zufuß gegangen bis zum Burg-Theater in Cronenfeld. Und da - ich traute meinen Augen nicht - da hab ich erstmal über eine Stunde in der Schlange gestanden! Wieviel Leute an dem Abend auf die gleiche Idee gekommen sind wie ich und sich für ihre letzten Groschen nochmal eine Märchenwelt angeguckt haben! Sogar den Filmtitel weiß ich noch: Der hieß: Lauter Lügen! Und die Hauptrolle spielte Jenny Jugo - ach, war das ein Erlebnis!